Geschlechtsbezogene Unterschiede im Umgang mit Stress

Gibt es wirklich biologische und soziale Unterschiede, die den Umgang mit Stress bei Frauen und Männern beeinflussen?  Werfen wir einen Blick auf die Biologie, den Körper und gesellschaftliche sowie soziale Faktoren.

Oft werden wir gefragt: “Ihr kennt euch doch aus mit der Psyche von Frauen- sind Frauen mehr gestresst als Männer?” Die Antwort auf diese Frage ist zwar ganz eindeutig, wenn auch nicht kurz: Stress betrifft uns alle – doch der Umgang damit ist oft geschlechtsabhängig. Spannenderweise zeigen Studien, dass Frauen sowohl beruflich als auch privat mehr Stress erleben als Männer. Eine Stressstudie aus dem Jahr 2021 ergab zudem, dass das allgemeine Stressempfinden in der Bevölkerung zunimmt. Interessant dabei: Während Frauen nach wie vor mehr Stress empfinden, holen Männer auf und empfinden zunehmend ähnliche Belastungen.

Doch woran liegt das? Gibt es wirklich biologische und soziale Unterschiede, die den Umgang mit Stress bei Frauen und Männern beeinflussen?  Werfen wir einen Blick auf die Biologie, den Körper und gesellschaftliche sowie soziale Faktoren.

Biologische Unterschiede: Hormonelle Reaktionen auf Stress

Ein großer Unterschied liegt in der biologischen Reaktion auf Stress. Frauen und Männer erleben Stress hormonell anders. Bei Frauen spielt das Hormon Oxytocin eine bedeutende Rolle. Dieses „Bindungshormon“ fördert in Verbindung mit weiblichen Geschlechtshormonen eine Reaktion, die als „Tend-and-Befriend“ bekannt ist. Diese beschreibt das Bedürfnis, in stressigen Situationen Fürsorge zu leisten und Beziehungen zu stärken. Während Männer oft zur „Kampf-oder-Flucht“-Reaktion neigen, setzen Frauen auf Fürsorge und soziale Unterstützung.

Körperliche Auswirkungen von Stress

Auch die körperlichen Reaktionen auf Stress können sich geschlechtsspezifisch unterscheiden. Beispielsweise zeigt sich, dass Stress bei Frauen und Männern unterschiedlich starke Auswirkungen auf das Herz-Kreislauf-System hat. Während beide Geschlechter Stress auf körperlicher Ebene spüren, gibt es Hinweise darauf, dass Frauen häufiger unter stressbedingten Beschwerden wie Herzrasen oder Bluthochdruck leiden.

Soziale Rollen und Stress: Die unsichtbare Last

Eine zentrale Rolle bei der Stressbewältigung spielen auch die gesellschaftlichen Erwartungen und Rollenzuschreibungen. Frauen sehen sich häufig dem Druck ausgesetzt, sowohl im Beruf als auch zu Hause die Hauptverantwortung zu tragen. Das sogenannte „Mental Load“-Phänomen beschreibt genau diesen mentalen Ballast, den viele Frauen durch die Kombination von Beruf, Familie und Haushalt mit sich tragen. Diese zusätzliche Belastung führt zu einer erhöhten Stressanfälligkeit.

Geschlechtsspezifische Bewältigungsstrategien

Interessanterweise gibt es Unterschiede darin, wie Frauen und Männer mit Stress umgehen. Frauen setzen häufiger auf soziale Unterstützung und emotionale Verarbeitung. Sie sprechen offener über ihre Belastungen und suchen aktiv nach Lösungen im Austausch mit anderen. Männer hingegen neigen eher zu problemorientierten Strategien und versuchen, Stress „alleine“ zu bewältigen. Kulturelle Normen tragen dazu bei, dass Männer oft nicht ermutigt werden, über ihre Gefühle zu sprechen, was die Verarbeitung von Stress erschweren kann.

Unterstützungsnetzwerke: Frauen profitieren von sozialen Verbindungen

Frauen verfügen häufig über engere und größere Unterstützungsnetzwerke. Diese Verbindungen helfen ihnen, in stressigen Zeiten auf soziale Ressourcen zurückzugreifen und Belastungen besser zu bewältigen. Männer hingegen sind oft weniger geneigt, Unterstützung zu suchen oder über ihre Belastungen zu sprechen, was sie isolierter im Umgang mit Stress machen kann.

Psychologische Stressauslöser: Hohe Ansprüche an sich selbst

Wenn Frauen nach ihren Haupt-Stressoren gefragt werden, steht der eigene Anspruch an sich selbst oft ganz oben. Frauen neigen dazu, sich hohe Ziele zu setzen und in mehreren Bereichen – sei es beruflich oder privat – erfolgreich zu sein. Bei Männern hingegen sind berufliche Anforderungen oder Leistungsdruck die Hauptursachen für Stress, was allerdings bei Frauen ebenfalls auf Platz zwei folgt.

Professionelle Hilfe: Frauen suchen eher Unterstützung

Ein positiver Aspekt, der aus Studien hervorgeht, ist, dass Frauen häufiger professionelle Hilfe in Anspruch nehmen, wenn sie extremem Stress ausgesetzt sind. Rund 75 % der Frauen, die von hohem Stress betroffen sind, suchen Unterstützung durch Therapie oder Beratung. Bei Männern sind es nur 54 %. Diese Bereitschaft zur Hilfeannahme kann ein wichtiger Faktor sein, um Stress langfristig besser zu bewältigen.

Fazit: Unterschiedliche Ansätze für bessere Stressbewältigung

Es zeigt sich deutlich, dass Frauen und Männer unterschiedlich mit Stress umgehen – sowohl biologisch als auch sozial. Während Frauen eher auf soziale Unterstützung und emotionale Verarbeitung setzen, neigen Männer zu eigenständigen, problemorientierten Strategien. Die gute Nachricht: Frauen sind sich ihrer Stressbelastung oft bewusst und suchen aktiv nach Hilfe. Dies zeigt, wie wichtig es ist, dass wir alle individuelle Strategien entwickeln, um den Herausforderungen des Alltags besser zu begegnen.

Wenn du also selbst häufig gestresst bist, ist es wichtig zu wissen, dass deine Reaktionen und Bedürfnisse einzigartig sind. Es gibt kein „richtig“ oder „falsch“ im Umgang mit Stress und auch kein “Frauen machen es so und Männer so” – es gibt nur Wege, die für dich und deine individuellen Bedürfnisse funktionieren. Suche dir Unterstützung, wenn du sie brauchst, und sei dir bewusst, dass Selbstfürsorge keine Schwäche, sondern Stärke ist.

Falls du das Gefühl hast, dass du unter hohem Stress leidest, zögere nicht, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Egal ob durch Therapie, Coaching oder den Austausch in einem starken sozialen Netzwerk – du musst nicht alles alleine bewältigen. Deine mentale Gesundheit ist es wert, dass du sie an erste Stelle setzt.

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Autor:innen

  • Linda Winterbauer linda.winterbauer@onewomanslife.de